Der erste Teil dieses Artikel widmete sich der Frage was Psychologische Sicherheit (PS) sei. (Hier ist er nachzulesen.) Er verwies auf eine Google Studie, die PS als kritischen Faktor für Teamerfolg auswies und die Amy Edmondson mit ihrer einschlägigen Defintion folgte: PS sei “a shared belief held by members of a team that the team is safe for interpersonal risktaking.”

Die Frage, die sich für Praktiker:innen nun anschließt, ist: Wie lässt sich PS in einem Team herstellen? Nicht durch eine entsprechende Zusammensetzung, das ist durch die Google-Studie klar geworden, aber wie dann? Die einfache Antwort: ‘Sie lässt sich nicht herstellen, sie entsteht.’ ist richtig, aber unbefriedigend. Die Fragen: ‘Unter welchen Umständen entsteht sie?’ und ‘Welche Faktoren unterstützen sie?’ schließen sich an. In ihrem Buch ‘die angstfreie Organisation’ (1), geschrieben fast 20 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung zum Thema, widmet sich Edmondson diesen Fragen. Sie geht davon aus, “dass die psychologische Sicherheit stark durch die jeweilige Führungskraft geformt wird.” (Den Teil von “psychologische Sicherheit” bis “geformt wird” hat sie unterstrichen.) Aus Edmondsons Sicht stehen die Führungskräfte in der Verantwortung.

Die Aufgabe, PS im Team zu unterstützen, ist für eine Führungskraft nicht einfach. Edmondson macht auf vielfältige Widerstände aufmerksam. Sie spricht von einer “Schwerkraft des Schweigens”, von einer “impliziten Logik, in der Vorsicht besser ist als Nachsicht”, und von verinnerlichten Glaubenssätzen die aus der frühesten Erfahrung in Schule und Ausbildung stammen. “Schweigen ist instinktiv und sicher; es bietet den Vorteil des Selbstschutzes, der sofort wirkt und gewiss ist” während die Vorteile, die eigene Stimme zu erheben, potentiell sind und in der Zukunft liegen. Führungskräfte verstärken diesen Effekt noch. Sie sind oft blind dafür, “dass ihre Anwesenheit andere zum Schweigen bringt”. Menschen werden aufgefordert ihre Stimme zu erheben, was ein ethisches Argument ist und den einzelnen in die Pflicht nimmt “ohne aber die Umstände zu schaffen, in denen es wahrscheinlich ist, dass diese Erwartung auch erfüllt wird”.

Edmondson entwickelt eine Hilfestellung, wie Führungskräfte PS unterstützen können. Zwei Kapitel ihres Buches zeigen positive Beispiele, zeigen Unternehmen, in denen sie PS beobachtet hat. Bei der Rekonstruktion dieser Beispiele zeichnet sie die Arbeit der Führungskräfte nach, die die PS im Unternehmen begründen. Ihre Schlußforgerung: “Es liegt in der Verantwortung der Führungskräfte auf allen Ebenen der Organisation, psychologische Sicherheit aufzubauen und zu verstärken.” Im “Methodenkoffer der Führenden für die Schaffung psychologischer Sicherheit” befindet sich ein Dreischritt aus ‘Voraussetzungen schaffen’, ‘zur Mitwirkung einladen’ und ‘produktiv reagiern’. Sie leitet den Inhalt dieses Koffers aus der Rekonstruktion eines Veränderungsprozesses an einer Kinderklinik in Minneapolis ab. Sie ‘begleitet’ die neue CEO und rekonstruiert die Phasen, in denen sich die Stimmung in der Klinik verändert hat.

Die drei Phase im Einzelnen. Erste Phase: ‘Voraussetzung schaffen’ bedeutet das Scheitern psychologisch sicher zu machen. Bspw. durch Reframing: nicht ‘Scheitern’ sondern ‘Lernen’, nicht ‘Zwischenfall’ sondern ‘Fehler’. Die Gründe liegen ‘in der Komplexität der Situation’ und nicht ‘in den Fähigkeiten der Beteiligten’. Phase zwei. ‘Zur Mitwirkung einladen’ heisst aktiv zur Teilnahme einladen. An die Stelle von Erklärungen (und dem Glauben schon alles zu wissen) tritt ehrliches Nachfragen. “Wenn man weiß, dass Selbstschutz eine natürliche Reaktion ist, muss die Einladung zum Mitwirken eindeutig sein, damit die Menschen sich darauf einlassen, statt auf Nummer sicher zu gehen.” (5, S. 145) und “Forschungen zeigen, dass Teams ein stärkeres Lernverhalten zeigen, wenn die Führenden Demut zeigen.” (5, S. 146) Gute Fragen, die man nicht mit Ja oder Nein beantworten kann und die der anderen Person helfen sich zu fokussieren, unterstützen diese Einladung. Phase drei: ‘Produktiv reagieren’ bedeutet produktive Reaktionen auf schlechte Nachrichten, Wertschätzung ausdrücken, Scheitern vom Stigma befreien und klare Verstöße mit Sanktionen belegen.

Die Führungskraft ist für Edmondson die Person, die PS in diesen drei Phasen etablieren kann. “Durch ihre Worte und Taten und durch die Gestaltung von Systemen, die Menschen nützliche Gesprächsräume eröffenen, können Führende angstfreie Arbeitspläte schaffen.”

Soweit Edmondson. Seit ihrer Veröffentlichung 1999 hat es viele Untersuchungen zum Thema gegeben. Einen Überblick über Studienlagen schaffen Meta-Studien, die mittlerweile auch zur PS veröffentlicht wurden. Meta-Studien sind Studien, die nicht unmittelbar den Gegenstand, bspw. PS, untersuchen, sondern andere Studien zum Gegenstand haben. Sie entwickeln Raster, um sowohl die Ergebnisse als auch die Art anderer Studien zu vergleichen und um den Stand der Forschung systematisch zu erheben. Eine solche Studie ist ‘Psychological safety: A meta-analyitc review and extension’ von Frazier u.a. (2).

Die Autor:innen fassen ihre Ergebnisse zusammen. “We found support for the relationship between psychological safety and positive leader relations as a general category. This highlights the salience of the direct leader in shaping the work context and crucial role leaders play in fostering psychological safety.” - Führungspersonen spielen laut dieser Meta-Studie eine zentrale Rolle für PS. “Going beyond the direct leader, we also found that work design characteristics and supportive work context as broad categories both positively influence psychological safety.” - Jenseits der unmittelbaren Führungsperson beeinflussen die Gestaltung der Arbeitsaufgaben und ein unterstützendes Arbeitsumfeld PS positiv. “Within the category of work design characteristics, interdependence showed the strongest relationship.” - Einen starken Einfluss auf PS hat die Art der Arbeit. Arbeiten, bei denen die einzelnen stark voneiander abhängig sind, haben einen positiven Einfluss auf PS. Wenn in einem ‘Team’ sämtliche Aufgaben unabhängig sind und die Mitglieder nebeneinander herarbeiten, ist es schwer PS zu entwickeln. “Peer support, within the category of supportive work context, also demonstrated a significant and strong effect.” - Die Unterstützung durch Arbeitskolleg:innen ist der wichtigste Faktor des Arbeitsumfeldes.

Zusammengefasst kommt die Studie zu dem Schluß, dass die unmittelbare Führungsperson, der Zuschnitt der Arbeitsaufgaben und die Unterstützung der Arbeitskolleg:innen die wesentlichen Faktoren für die Entwicklung von PS sind.

Eine Meta-Studie macht, indem sie andere Studien zum Gegenstand nimmt, auch Aussagen über die Korrelation von Studiendesign und Studienergebnissen. So untersucht die zitierte Studie die Rolle der Kultur des Landes, in dem die ursprüngliche Studie stattfand. Sie verwendet dafür die Unterscheidung ‘high and low uncertainty avoidance (UA)’. Die Länder wurden, basierend auf einer anderen Untersuchung, nach Unsicherheitstoleranz eingeteilt. Fühlen sich die Menschen dieser Länder durch Unsicherheit eher bedroht oder haben sie eine Unsicherheitstoleranz. Beispiele für Länder mit Unsicherheitstoleranz sind: China, Niederlande, Schweden und die USA. Beispiele für Länder mit geringer Unsicherheitsakzeptanz sind: Deutschland, Israel, Japan und Mexico. Die Autor:innen kommen zu dem Schluß: “Somewhat surprisingly, the effects of positive leadership relations were weaker in high UA cultures.” Einfach gesagt: In den USA spielen die Führungspersonen eine wichtigere Rolle als in Deutschland. Mit Bezug auf die Studie, die die Länder in ‘high’ und ‘low UA’ unterscheidet, führen sie aus: Für Länder mit ‘high UA’ spielen Stabilität und formale Regeln eine größere Rolle. Demzufolge sei für die PS eine breitere Quelle von Signalen wichtig. “Thus, employees in high UA cultures may demonstrate a higher sensitivity to elements of personality, work design, and supportive work context than to leader behaviors.” Vereinfacht: Deutsche Arbeitnehmer:innen reagieren sensibler auf Persönlichkeit, Arbetsgestaltung und Arbeitskontext als auf das Verhalten von Vorgesetzten. Umgekehrt verhält es sich bei ihren amerikanischen Kolleg:innen. Die Forscher:innen schließen eine Erklärung an. In Ländern mit geringer Unsicherheitstoleranz sei Führung eher kontrollierend und nicht so fordernd, so das andere Faktoren bei der Unterstützung der PS in den Vordergrund treten.

Warum konzentriert sich Edmondson bei ihren Ratschlägen auf die Führungsperson? Hatte nicht die Google-Studie gezeigt, dass PS ein emergentes Teamphänomen ist? Eine Erklärung bietet die Meta-Studie zur PS. Die USA sind der Wirkungsraum von Edmondson. Fast alle Beispiele angstfreier Organisationen stammen aus den USA. In den USA (einem Land mit höherer Unsicherheitstoleranz) spielt Leader Behavior eine größere Rolle als in Ländern mit geringerer Unsicherheitstoleranz. In diesen sind es eher strukturelle Faktoren der Arbeit, die ins Gewicht fallen. Insofern drückt Edmondsons ‘Strategie’, drücken ihre Ratschläge mit der Fokussierung auf Führungspersonen Funktionsweisen ihrer nationalen Arbeitskultur aus.

Eine zweite Erklärung ist der Verwendungskontext Arbeit von Edmondson. Führungskräfte sind es, die fragen, wie denn eine Atmosphäre der PS zu schaffen sei. Führungskräfte sind die natürlichen Adressaten einer Veränderung in Unternehmen. Führungskräfte scheinen so etwas wie die Subjekte der Veränderung im Unternehmen zu sein. Insofern sind sie der natürliche Adressat der Überlegungen. Und sie sind Auftraggeber:in und Gesprächspartner:in für Beratungsaufträge seitens Unternehmen. Sie sind die natürlichen Ratsuchenden. Es ist also naheliegend, wenn Fragen der Veränderung und Verantwortung aus ihrer Perspektive gedacht werden.

Aber, diese Frage sei zum Abschluss gestellt, lässt sich auch anders über PS sprechen? Wie kann die Emergenz des Phänomens ins Spiel gebracht werden, ohne sogleich die ganze Last der Führungskraft aufzubürden? Der dritte Teil dieses Artikels soll um diese Frage kreisen.

Quellen

(1) Amy Edmondson: ‘Die angstfreie Organisation’, München 2020
(2) Frazier, M. L., Fainshmidt, S., Klinger, R. L., Pezeshkan, A. & Vracheva, V.: ‘Psychological safety: A meta-analytic review and extension’, in Personnel Psychology, 2017, 70